Gerichtsverhandlung gegen Spaziergängerin am Amtsgericht Traunstein

 
Amtsgericht Traunstein, 5.7.2022
Aktenzeichen 522 Cs 520 Js 8162 / 22

Am 5.7.2022 fand im Amtsgericht Traunstein eine Verhandlung gegen eine ,,Spaziergängerin" statt. Ihr wurde von der Traunsteiner Staatsanwaltschaft vorgeworfen, Anführerin einer nicht genehmigten Veranstaltung gewesen zu sein.

Stein des Anstoßes war ein sogenannter Spaziergang am 17.1.2022 gegen 17:45 Uhr der im Bereich des Grassauer Rathausplatzes stattgefunden hatte. Laut Aussagen von zwei Zivilpolizisten die sich unter die Spaziergänger gemischt hatten hätte sich die Angeklagte mit einer Handbewegung und etwa den Worten ,,Jetzt lasst uns losgehen, Ihr kennt ja den Weg" als Versammlungsführerin zu erkennen gegeben. Da dieser Spaziergang nicht als Versammlung angemeldet war habe die Angeklagte somit gegen das Bayerische Versammlungsrecht verstoßen.

Die Zeugen:
Geladen waren zwei Zivilermittler und mehrere Personen die auch an besagtem Spaziergang teilgenommen hatten.

Die Zuschauer:
15 bis 20 Zuschauer dürften in dem kleinen Sitzungssaal anwesend gewesen sein, nach meinem Eindruck alle auf Seiten der Angeklagten.

Geladen waren mehrere Zeugen, darunter auch die zwei Zivilpolizisten. Zivilpolizist F. wollte gesehen und gehört haben dass die Angeklagte besagte Handlung ( Aufruf und Handbewegung ) begangen hätte, verstrickte sich aber während der intensiven Befragung der Verteidigerin in Ungenauigkeiten in seiner Aussage und wollte nun nicht mehr mit 100% Sicherheit bei seiner Aussage bleiben. Weitere Zeugen die auch am Spaziergang teilgenommen hatten wurden befragt,  von diesen konnte keiner die ursprüngliche Aussage der Zivilpolizisten bestätigen.

Sowohl der Richter als auch der Staatsanwalt verbissen sich in der Vorstellung, dass es bei solch einem Spaziergang zwangsläufig einen Anführer geben müsse, nach weitgehend übereinstimmender Aussage der anderen Zeugen setzte sich der Spaziergang jedoch von selbst um kurz nach 18 Uhr in Bewegung.

Die Plädoyers:
Aus Sicht des Staatsanwaltes hätte sich während der Verhandlung bestätigt dass die Angeklagte schuldig sei. Er wies zwar auf die bisherige vollkommene Unbescholtenheit der Angeklagten hin, erhöhte seine Strafforderung jedoch auf 35 x 50 Euro Tagessätzen mit der Begründung, dass sich die Angeklagte nicht einsichtig gezeigt hätte. 35 x 50 Euro entsprechen einem Strafbetrag von 1750 Euro.

Die Verteidigerin wies in ihrem Plädoyer darauf hin dass es in einer Freiheitlich Demokratischen Grundordnung grundsätzlich möglich sein muss sich zu versammeln, schließlich benötige ein Gartenbauverein oder andere ähnliche Vereine auch keine polizeiliche Erlaubnis für die Versammlungen.  Die Verteidigerin wies auf eine Deutungshoheit der beiden Zivilpolizisten hin die überhaupt erst zu dieser Anklage geführt hätte, diese Deutungshoheit stellte die Verteidigerin grundsätzlich in Frage. Die Verteidigerin wies nochmals auf die nicht stringenten Aussagen der Zivilermittler hin.

Die Angeklagte hatte das letzte Wort und wies die gegen sie vorgebrachten Anschuldigen kurz und deutlich zurück.

Das Urteil:
Nach gut 5 Minütiger Bedenkzeit sprach der Richter die Angeklagte frei, es sei der Angeklagten nicht  eindeutig nachzuweisen gewesen dass sie die gegen sie vorgebrachten Anschuldigungen ( Handbewegung und kurzer Satz ) begangen hätte.

Urteilsbegründung:
Der Richter wies zunächst darauf hin dass der Freispruch nur wegen der nicht 100% sicheren Aussage der Zivilermittlers F. erfolgt sei. Der Richter wandte sich dann an das Publikum. Grundsätzlich stünden solche Versammlungen (Spaziergänge)  dem Bayerischen Versammlungsrecht entgegen, deshalb sei es auch legitim dass die Bayerische Polizei so wie im vorliegendem Fall mit Zivilermittlern agiere. Der Richter wies auch darauf hin dass es bereits mehrere bundesweite Rechtssprechungsfälle dazu gäbe. Der Richter sprach das Publikum direkt an und meinte sinngemäß ,,Sie sind mit der Corona Politik der Regierung nicht einverstanden, aber das darf kein Grund sein das Versammlungsrecht zu missachten".

Nachbetrachtungen:

Der Zugang zu den Gerichtssälen erfolgt erst nach einer intensiven Sicherheitsprüfung. Tasche, Schlüssel und sogar der Gürtel müssen in einen Korb gelegt werden, dieser wird gescannt, nebenbei  geht man durch eine Schleuse, wird selbst gescannt und erhält, falls kein Alarm ausgelöst wurde, seine Sachen wieder. 3 Beamte mit Mund-Nasen-Schutz führen diesen Vorgang durch. Alles fast wie am Flughafen, meine Schuhe musste ich nicht ausziehen und meine Hose hat die kurze Zeit ohne Gürtel ausreichend gut gehalten. Man hat offensichtlich Angst, dass ein Besucher eine Waffe mit ins Gericht schmuggeln könnte. Wir sind nicht in den USA, sondern in Traunstein. Die Kosten die die drei Beamten und die dazugehörige Technik auf Dauer verursachen dürften erheblich sein.

Der Richter hat klar zu erkennen gegeben dass er die Bespitzelungen der Spaziergänger durch die Grassauer Polizei für angebracht hält. Mit Zuständen wie sie in der untergegangenen DDR üblich waren hat dieser Richter anscheinend eher weniger Probleme.

Der Richter ist in seiner Urteilsbegründung auf ein entscheidendes Argument der Verteidigerin nicht eingegangen, nämlich dass in diesem Staat immer noch Versammlungsfreiheit herrscht ( zumindest offiziell ). Nach seiner Argumentation müsste dann in der Konsequenz der örtliche Gartenbauverein bei seiner Jahresversammlung ebenfalls eine Versammlung nach dem Bayerischen Versammlungsrecht beantragen. Wer legt die Grenze zwischen ,,politischen" und ,,unpolitischen" Versammlungen fest, die Spitzel der Grassauer Polizei?

Die Angeklagte war vom 17.1.22 bis zum 5.7.22 dem Druck der staatlichen Macht ausgesetzt, dies sind über 5 Monate. Auch wenn der Angeklagten durch den Freispruch keine weiteren Kosten entstanden sind ( auch die Anwaltskosten übernimmt der Staat ) wird sie vermutlich einige schlaflose Nächte verbracht haben.

Polizei und Staatsanwaltschaft haben vermutlich ihr selbst gestecktes Ziel erreicht, die Angeklagte wurde monatelang unter Druck gesetzt und somit indirekt auch die Prozessbeobachter damit eingeschüchtert.

Die Kosten zahlt der Steuerzahler.

Die Verhandlung fand am 5.7.2022 im Sitzungssaal B41, EG im Amtsgericht Traunstein, Herzog Otto Straße 1 statt. Die Verhandlung dauerte von 13 Uhr bis ca. 16:40 Uhr, also mehr als 3 ½ Stunden.

Dieser Bericht wurde wenige Stunden nach Ende der Gerichtsverhandlung angefertigt, er ist zwangsweise unvollständig und gibt meine subjektiven Eindrücke wieder. Auch meine Interpretationen der Aussagen der beteiligten Prozessteilnehmer sind notwendigerweise subjektiv.



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